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Die Welt des Wolfs

Alter Ego

Was das Alter Ego zum Ego spricht,
davon handelt dieses Gedicht.


1.

Hoch über den Wipfeln der Bäume
beginnt das Land der Träume,
in denen bunte Farben sich verwehen
und seltsame Verwandlungen vor sich gehen.

Dort oben, weit fort vom Wald,
ohne festen Halt und hüllende Gestalt,
dort ist die Welt der Seelen,
denen ihre Körper fehlen.

Zwischen schattendunkler Nacht
und blendend heller Lichtespracht,
entfaltet sich ein bunter Reigen,
in dem sich farbige Tänze zeigen.

Von klarem Glanz zu finsterem Grauen
kannst du ein wogendes Spektakel schauen,
doch bleibe kein unbeteiligter Zeuge,
werde selbst bewegter Teil in diesem Reiche.

Je mehr deiner Sinne Rausch dich lockt,
desto wilder reisst das Feuerwerk dich mit sich fort,
nur wer gelernt hat sich zu enthalten und zu entsagen,
kann dieses Wechselspiel schadlos ertragen.

Drum sei gelassen und gefasst,
bis du genug erfahren hast
von diesen fremdartigen Gebärden,
sonst wirst du leicht ihr Opfer werden.

2.

Nur eines ist hier gewiss und wahr,
dass nichts bleibt, was ist und war,
wohl dem, der in all dem Wandel und Wahn
sich selbst als Ich treu bleiben kann

und nicht versinkt im Wogen und Weben,
im unaufhörlich vergeblichen Streben,
der nicht verzweifelt und kapituliert
und so sich in der Tiefe verliert.

Drum beginne beizeiten dich zu üben,
nicht deine äußeren Hüllen nur zu lieben,
sondern dich vom trügenden Schein zu lösen
und dich zu erkennen in deinem Sein und Wesen.

Es lauert der Drache im dunklen Loch,
hell lockt jubelnd der Engel am Gipfeljoch,
doch oben hast du keine Heimat
und unten bleibt dir keine Wohnstatt,

du bist ein Wesen in der Mitte,
hast Freiheit für dich in keiner Hütte,
du bist im Zwischenreich daheim,
nur dort kannst du dich selber sein.

Greif nicht nach oben, den Engel zu erfassen,
zögere nicht, den sicheren Stand unten zu verlassen,
denn es wird zerrissen von diesem Spagat,
wer nicht sein Gleichgewicht gefunden hat.

Fern ist das Ziel noch deiner Reise,
nah bist du noch der alten Weise,
solange du suchst mit Wollen und Bangen,
wirst du nichts finden und erlangen.

Leicht scheint das Spiel, wie ein bekanntes Lied,
solange es sich in greifbaren Grenzen vollzieht,
wenn diese stürzen wie Bauten ohne Fundamente,
bleibt nichts zum Halten für deine Hände.

Dann wird es leicht dich zu verlieren,
schwer fällt es, dich zu orientieren,
um in der Mitte aller Welten
ein Ich zu sein und als eigenes Wesen zu gelten.

3.

Freue dich an allem, was du vermagst,
sei mutig bei dem, was du wagst,
achte auf all deinen Wegen,
wie sich in dir die bildenden Kräfte regen.

Doch solange du nur dem vertraust,
was du allein vermagst und schaust,
kennst du dich selbst noch schlecht
und wirst dir nicht genügend gerecht.

Sei wachsam, wenn sich die Muster regen,
die deine alten Erfahrungen prägen,
handle nicht aus dem früheren Streben,
gehe entgegen dem kommenden Leben.

Öffne dich in die Höhe und in die Breite,
aber bleibe nicht stehen auf einer Seite,
weite ständig deinen Horizont,
doch meide jede parteiliche Front.

Achte darauf, dass du dich nicht verengst,
wenn du mit deinem Verstande denkst,
lass dein Herz dich stets begleiten,
versuche einseitiges Urteilen zu vermeiden.

Was du vollbringst ist nicht allein der Sinn,
schau auf dein inneres Fühlen und Wollen hin,
wenn diese friedlich sich vereinen,
kannst du frei und liebevoll erscheinen.

Übe dich, deinen Hochmut zu zähmen
und dafür einen höheren Willen anzunehmen,
öffne dich der ursprünglichen Kraft,
aus der du lebst und schaffst.

Werde bescheiden,
lasse dich leiten,
lass' mich gewähren
und dich lehren.

Ich bin der Hüter deiner Schritte,
wenn du abweichst von deiner Mitte,
halte ich dich zurück vor falscher Bahn
und führe dich auf dem rechten Weg voran.

Achte nicht auf das, was andere treiben,
was sie lesen oder schreiben,
öffne dich dem leisen Wort,
das zu dir spricht an innerem Ort.

Löse dich von der Enge, die dich hält,
schau offen und weit in die Welt,
du kennst bisher nur ihr Alphabet,
höre jetzt, was im Buch ihrer Weisheit steht.

Lass ruhen die Sinne,
halte im Bewegen inne,
in der Ruhe und Stille
offenbart sich deiner Wahrheit Wille.