8. Der Sieg des Felsenherrn - lange Fassung (2)
Jetzt war der Berg Herr in beiden Welten
und wollte als solcher vor allen gelten,
doch er hatte nicht bedacht,
dass begrenzt ist jede Macht.
Unbekannte hatten am Eingang seiner Herrschaft
eine Tafel erstellt mit dieser Botschaft:
Von Mitleid bewegt, begab es sich,
dass manch Wanderer las diese Schrift
und sich fragte für sich im Stillen,
wie wohl jemand folgen könne diesem Willen.
Doch keiner fand die Herzenskraft,
die der Geschichte eine Wende schafft.
Wo die Gefühle erfrieren,
wo Hass und Neid regieren,
wo der Tod dem Leben droht,
erlöst nur die Liebe aus der Not.
Doch eines Tages stand ein Mensch am Tor,
vor des Eremiten Höhle davor,
er war nicht mehr ganz jung an Jahren
und hatte schon manch Leid im Leben erfahren.
Es war niemand recht klar,
ob er zu rebellisch oder zu angepasst war,
er suchte auf einer inneren Reise
der Welt sonnige Weise.
Auf seinem Weg durchs Leben
hat es sich, wer weiß wie, ergeben,
dass in ihm ein steinerner Brocken reifte,
den er mühsam mit sich herum schleifte.
Halb wurde es ihm suggeriert,
halb hat er selbst sich konditioniert,
nur wer an sich denkt und sein Wohl,
kommt voran und genießt sein Dasein voll.
Statt frei voran zu schreiten,
ließ er sich von strengen Regeln leiten,
statt offen andere zu empfangen und zu lieben,
maß er sie an Mustern und Stereotypen.
Er hatte jedoch nicht bedacht,
dass dieses Verhalten keine Freude macht
und dass, je länger es so ging,
ein Gewicht immer schwerer an ihm hing.
Dem war der Aufstieg schlecht bekommen,
die Felsenwelt hatte ihm den Atem genommen,
so ruhte er sich gerade aus,
da trat der Eremit zu ihm heraus.
"Was machst du hier in diesem steinernen Jammer?"
"Ich suche einen Ausweg aus seiner erstickenden Klammer."
"Es ist schon spät, du bist nicht stark,
der Felsen dominiert schon viel zu arg."
"Ich spüre es und fürchte ihm zu erliegen!"
"Es ist noch Zeit ihn zu besiegen.
Der große Berg, so mächtig er erscheint,
hat eine schwache Stelle und einen Feind.
Er ist erstanden aus der Lüfte geistigem Wort
und dieses treibt ihn auch wieder fort,
er weiss das und gebärdet sich deshalb so gemein,
das lebendige Wort soll für immer stille sein.
Mich kann er nicht töten, in mir lebt das Wort,
und wenn du willst, geh nicht gleich fort,
dann gebe ich dir den Schlüssel zu seinem Gebrauch,
dann wirst du, wie ich, unsterblich auch.
Versteinert ist des Lichtes Regung,
erstarrt seine immerwährende Bewegung,
doch kann eines liebenden Herzens Hauch
sie wieder erwecken zu neuem Lauf.
Wenn du genügend Glauben hast,
kannst du, was sein Massiv umfasst,
versetzen ohne deiner Hände Kraft,
allein durch deines Wortes Macht.
Der Tod kann die Luftkönigin nicht erreichen,
vor ihrem Geist muss seine Macht weichen,
wenn sie einen willigen Wanderer findet,
wird befreit, was der Felsen jetzt noch bindet.
Kehre dich um, schaue in die Nacht hinaus,
sehe unter dir liegen den ganzen Graus,
wenn Mitleid sich in deiner Mitte rührt,
dann wirst du mit Mut erfüllt, der dir gebührt.
Lass des Verstandes kaltes Kalkül,
folge nicht dem, was deine Erfahrung will,
befreit wird dann das erlösende Wort
und sein Klang treibt Tod und Erstarrung fort.
Der Felsenherr wird wieder werden,
was er sein soll hier auf Erden,
wird begleiten jede gestaltenden Hand,
wird für das Leben zu Grund und Stand.
Nichts ist, was nicht sein Gutes hat,
nichts findet einfach sinnlos statt,
doch was einseitig wächst und wallt,
wird eine Zeit lang zu des Bösen Gestalt.
Der Hass zerstört, der Ehrgeiz zerfrisst,
was nicht so wie das eigene ist,
die Liebe eint, was getrennt ist und streitet,
sie versöhnt, was an Feindschaft leidet.
Sprich nicht aus deinem alten Denken,
lass dich vom Geist der Königin lenken,
enge dich nicht ein durch kaltes Gefühl,
erfülle dich mit ihrem freien Spiel.
Befreie dich von dem steinernen Brocken,
lass dich nicht weiter in die Finsternis locken,
lass in dir strahlen das Licht der Königin,
sei frei und lebendig durch ihren Sinn.
Ich bin ein Einsiedler, gebunden noch an des Berges Gestalt,
doch die, die nach mir kommen, werden frei sein von jeder Gewalt,
mein Wort öffnet euch den Weg zum Licht hinauf,
das euch leitet auf eures Lebens Lauf.
Der Hauch des Geistes wird euch bewegen
und in euch wirken mit seinem Segen,
spielend werdet ihr ihm folgen,
wie das Kommen und Gehen der Wolken.
Jeder für sich, jeder allein
und doch bereit, miteinander zu sein,
jeder reich an Kraft, um allein zu wandern
und gleichzeit bereit zum Teilen mit andern."
Wenig war es, was der Wanderer verstand,
doch spürte er, wie die Last in ihm schwand,
das war ihm genug, hinauf zum Gipfel schauen
und den Worten des Alten zu vertrauen.
Jetzt hatte er Gelegenheit, sich zu befreien
und sich am liebenden Leben zu erfreuen,
ohne zu zaudern stieg er hinauf zu des Berges Schlund
und versenkte den steinernen Block in seinem Grund.