Die Welt des Wolfs

Homunkulus




Johann Wolfgang von Goethe: Faust II. Zweiter Akt, Laboratorium.*)



Es gab einmal einen Zauberer, der war geschickt,
ihm ist die Erschaffung von Menschen geglückt,
aus seinem magischen Labor
kamen lauter künstliche Leute hervor.

Sie wuchsen aus seinen Retorten heraus
und sahen wie alle anderen aus,
sie konnten sich auch weiter vermehren
doch litten sie an einem Fehler.

Denn er hatte nicht die Macht besessen
oder es einfach in der Hast vergessen,
ihnen auch ein Gewissen zu integrieren,
drum konnten sie sich nicht richtig orientieren.

Es blieb ein Loch an dieser Stelle,
wo ihnen die innere Stimme fehlte,
und statt selbst urteilsfähig zu sein,
füllten sie fremde Meinungen hinein.

Sie gingen zwischen den anderen Menschen einher,
diese bemerkten den Unterschied nur schwer,
denn er zeigte sich erst, wenn eines dieser Wesen
nicht unterscheiden konnte das Gute vom Bösen.

Sie kannten kein Ethos und keine Moral,
hatten kein Herz für fremde Not und Qual,
sie waren nicht fähig, andere zu lieben
und folgten nur ihren Instinkten und Trieben.

Es war nicht leicht für sie, ihr Leben zu führen
und menschliche Regeln zu respektieren,
konnte ihr Körper nicht weiter bestehen,
mussten sie als Gespenster umhergehen.

Respektlos spukten sie bei Nacht und Tag,
richteten manch Unfug an und Schabernack,
ohne dass die Lebenden es ahnten
oder einen Verursacher fanden.

Der Zauberer erkannte zu spät oder nie,
was er angerichtet hatte mit seinem Genie,
denn die Geister, die er rief in seinem Laboratorium,
gingen dort  besonders gern herum.

Sie spukten in seine Töpfe und Gefäße,
manipulierten Rezepte und Prozesse,
aus denen krochen dann, oh Graus,
nur noch Missgeburten heraus.

Diese waren zum Glück keine lebensfähigen Fälle,
doch  nagten sie an des Magiers Verstand und Seele,
da wurde er immer labiler und dement
und endete schließlich als verrückter Patient.

Es gruselt manchen bei dieser Mär,
doch grausig ist der Fall noch mehr,
wenn ein Mensch im Leben sich so aufführt,
dass er das Gewissen, das er hat, dadurch verliert.



*) Johann Wolfgang von Goethe: Faust II. Zweiter Akt, Laboratorium:

Es leuchtet! seht! – Nun läßt sich wirklich hoffen,
Daß, wenn wir aus viel hundert Stoffen
Durch Mischung – denn auf Mischung kommt es an –
Den Menschenstoff gemächlich componiren,
In einen Kolben verlutiren
Und ihn gehörig cohobiren,
So ist das Werk im Stillen abgethan.

Es wird! die Masse regt sich klarer!
Die Ueberzeugung wahrer, wahrer!
Was man an der Natur Geheimnißvolles pries,
Das wagen wir verständig zu probiren,
Und was sie sonst organisiren ließ,
Das lassen wir krystallisiren.
...

Es steigt, es blitzt, es häuft sich an,
Im Augenblick ist es gethan!
Ein großer Vorsatz scheint im Anfang toll;
Doch wollen wir des Zufalls künftig lachen,
Und so ein Hirn, das trefflich denken soll,
Wird künftig auch ein Denker machen.
...

Das Glas erklingt von lieblicher Gewalt,
Es trübt, es klärt sich; also muß es werden!
Ich seh’ in zierlicher Gestalt
Ein artig Männlein sich gebärden.



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