Es war einmal ein kleiner Junge, der immer davon träumte, ein großer Mann zu werden. Von seinen Spielgefährten und Schulkameraden wurde er aber nie Ernst genommen, wenn er davon etwas andeutete oder verlauten ließ. Im Gegenteil, sie spotteten über ihn, neckten ihn und manche taten ihm sogar absichtlich weh, um ihn zu ärgern. Das machte ihn so traurig, dass er immer weniger die Gesellschaft anderer suchte und sich immer mehr in sich selbst und seine Träume zurück zog. Dort war er immer ein angesehener Mann, vollbrachte große Taten und half die Welt zu verbessern zusammen mit den Helden seiner Bücher und Geschichten, die er las.
Als er größer wurde, ging er zwar an die Universität und übernahm auch einen verantwortungsvollen Posten im Berufsleben, aber seine Situation blieb immer gleich. Obwohl er seine Arbeit zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erledigte und von diesen sehr geschätzt wurde, mieden ihn seine Kollegen und manche davon arbeiteten regelrecht gegen ihn. Auch die Frauen betrachteten ihn abfällig und alle, für die er sich interessierte, zogen sich bald von ihm zurück, als ob er etwas anrüchiges an sich hätte.
So verrichtete er seine Arbeit allein in einem abgeschlossenen Büro und in der Freizeit suchte er sich Räume, in denen er frei seinen Gedanken nachsinnen konnte und weiter von einer großen Zukunft träumte, in der alle seine außergewöhnlichen Talente schätzten und seine Gesellschaft suchten. Doch nichts davon ereignete sich und die Zeit verstrich, bis er eines Tages so krank wurde, dass er nicht mehr zur Arbeit gehen konnte. Seine Krankheit zwang ihn, noch zurückgezogener und abgeschlossener zu leben als bisher und eine große Depression befiel ihn, so dass er nicht einmal mehr sich ausmalen konnte, wie er einmal ein bedeutender Mensch werden würde. Seine Phantasie verließ ihn und er lebte nur noch wie innerlich und äußerlich gelähmt.
Täglich fragte er sich, was in seinem Leben falsch gelaufen war, warum er nicht von den anderen anerkannt worden war, aber auch warum er nicht in der Lage war, einfach mit anderen zusammen zu leben, ohne sich große Ideen von der Welt und den Menschen zu machen. Er war inzwischen alt geworden und so deprimiert, dass er die Tage auf dem Rücken in seinem Bett liegend in einer endlos erscheinenden Leere verstreichen ließ. Bis er einmal so niedergeschlagen war, dass er in tiefer Verzweiflung zusammen brach und nicht nur den Menschen, sondern der ganzen Welt und Gott selbst die Schuld an seiner unglücklichen Lage gab und daran dachte, sein Leben mit Gewalt zu beschließen.
Da hörte er plötzlich eine Stimme seinen Namen rufen. Zuerst meinte er, sich getäuscht zu haben, da niemand anderes anwesend war, dann aber hörte er noch einmal deutlich, wie jemand seinen Namen aussprach, so als wollte er ihm etwas sagen. Jetzt wurde er aufmerksam und hörte konzentriert in die Stille hinein.
Von dorther hörte er: „Wer groß sein will, muss sich klein machen.“
Er verstand nicht, was dies bedeuten sollte und wusste nicht, was er darauf sagen sollte.
Dann sagte die Stimme jedoch ein zweites Mal zu ihm: „Wer herrschen will, muss dienen.“
Daraufhin blieb es wieder still in seinem Zimmer. Aber er verfiel nicht mehr zurück in die vorher herrschende Apathie. Etwas Neues in ihm war angerührt worden und er fühlte sich plötzlich angeregt, seine Niedergeschlagenheit aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Er wunderte sich nicht einmal so sehr über die Stimme, sie erschien ihm ganz natürlich gewesen zu sein und er fragte sich auch nicht, woher sie gekommen war, denn plötzlich ging ihm der Sinn ihrer Worte auf: „Wer ein großer Mann werden will, muss ein kleiner Diener sein!“
Er erkannte seinen Irrtum und die Täuschung der großen Helden, in deren Gesellschaft er sich hinein geträumt hatte. Nicht der Starke ist siegreich, sondern der Schwache. Jede Stärke vergeht, jede Größe schrumpft, was bestehen kann ist nur das Kleine, das in seinem eigenen Zentrum ruht und sich regt. Er erkannte in dem langen Weg seiner Demütigungen, die er erfahren hatte die Aufforderung, sich zu seiner Schwäche zu bekennen und darin seine Stärke zu erkennen. Der wahre Held opfert sich selbst für diejenigen, die noch keine Helden sein können, aber er tut dies aus dem Hintergrund, er will diese nicht beschämen, sondern ermöglicht ihnen Bedingungen, in denen sie zu ihrer eigenen Kraft finden können.
Von da an änderte sich seine Situation,. Er blieb zwar weiterhin allein, aber er erkannte den kurzen Atem der Starken. Unbemerkt von den Menschen und der Welt begann sich ein leichtes Lächeln in ihm zu regen, das er hinaus schickte und mit dem er der Schwäche diente, die sich hinter der Maske der Stärke verbarg. Er sah die Reichen sterben und die Mächtigen vergehen, aber er sandte sowohl ihnen als auch allen anderen, die an ihrer Armut und Schwäche litten, sein verständnisvolles und ermutigendes Lächeln und stellte sich ihr Erwachen in einer neuen Kraft vor, die nicht mehr von ihrer äußeren Stärke abhing, sondern von der inneren Bereitschaft zum Dienen ausging.
Als schließlich auch für ihn der Moment der größten Schwäche kam und der Tod ihn zu sich rief, konnte dieser ihn nicht vor seiner dunklen Tür aufhalten. Diese öffnete sich wie von selbst und aus dem Licht, das darin erschien, hörte er eine Stimme: „Du warst mein kleiner Diener und wirst meine große Freude sein!“