Die Welt des Wolfs

Das Lächeln des Wolfs

Ein etwas trauriges Märchen




Es war einmal ein Wolf, der nicht nur einsam war, sondern auch völlig ungewöhnlich. Wie alle Wölfe lebte auch er in einem Wald. Aber während die anderen unter den Bäumen umherschlichen, um Beute zu finden, hielt er sich immer aus der Herde heraus und blieb im dunkelsten Teil des Waldes, wo er jeglichen Kontakt vermied. Es ist nicht bekannt, wie er überlebt hat, aber er hat sicherlich nur wenig gefressen. Dieser Wolf wird jedoch noch heute in Erinnerung behalten, auch wenn diese Geschichte bereits vor vielen Jahren passiert ist.

Als er noch klein war und mit seinen Geschwistern spielte, lehrten ihn seine Eltern, seine Zähne zu blecken, um nicht nur ein bedrohliches Aussehen zu haben, sondern auch seine Gegner und die Beutetiere zu erschrecken, so dass sie für einen Moment wie gelähmt blieben, den er zu seinem Vorteil nutzen konnte. Aber jedes Mal, wenn der noch kleine Wolf seine Zähne zeigte, erschien statt eines wilden Ausdrucks ein liebes Lächeln. Seine Eltern waren verzweifelt. Noch nie war ein Wolf gesehen worden, der lächelte, anstatt seine Zähne bedrohlich zu zeigen. Aber weder mit schmerzhaften Bissen, noch mit erhobenen Pfoten oder durch den Entzug seines Fressens gelang es ihnen, sein lächelndes Gesicht zu ändern. Sobald er den Mund öffnete, erschien jedes mal ein herzliches Lächeln.

Sie waren nicht wirklich streng mit ihm, denn schließlich brachte er auch alle zum Lachen mit seiner tolpatschigen Art, aber sie waren sehr besorgt und fragten sich, wie ein Wolf wie dieser überleben könnte. Da der Welpe gesund war und auch immer stärker wurde, fanden sie es zwar ein bisschen verrückt, aber sie ließen ihn schließlich seinen Weg gehen. Lange fand er keine Freunde, und blieb ein Fremder unter seinesgleichen. Als er jedoch alt genug war, um das Rudel zu verlassen und nach einer Wölfin zu suchen, mit der er sich paaren konnte, begannen seine Probleme schwieriger zu werden. Immer wenn er eine Wölfin traf, die ihm gefiel, erwartete diese von ihm die Demonstration eines starken und unbesiegbaren männlichen Wolfs mit einem entschlossenen Kampfgeist, während er sich mit seinem süßesten Lächeln ihnen und der Welt präsentierte. Alle Weibchen bevorzugten jedoch einen normalen Wolf und lehnten ihn deshalb.

Trotz seines ständigen Lächelns oder gerade deswegen, war der Wolf im Grunde seines Herzens sehr empfindlich und verletzlich. Er konnte es nicht ertragen, ohne Grund abgelehnt zu werden, denn schließlich war er stark und klug wie die anderen. Er machte sich auf die Suche nach einem entlegenen Ort, wo er ungestört überleben konnte und gestaltete sich ein Leben weit weg von den gewalttätigen Gewohnheiten seiner Mitbrüder. Er hatte dort zwar nicht die Gesellschaft einer netten Wölfin, aber er lebte ganz in seiner Freiheit und vermisste die Normalität der Wolfswelt nicht.

Eines Tages nahm sein Leben jedoch eine unerwartete Wende. Wie gewöhnlich wanderte er schweigend im Unterholz, wo die Gerüche der Erde intensiver und die Einsamkeit noch inniger waren. Plötzlich stand vor ihm ein kleines Mädchen. Für einen Moment schwiegen beide, überrascht von der unvermittelten Begegnung. Kaum hatte der Wolf sich von seiner Verwunderung erholt, öffnete er seinen Mund mit dem schönsten Lächeln seines Lebens. Sobald das Kind jedoch die Zähne des Wolfes sah, war es so erschrocken, dass es laut zu schreien begann: "Er will mich fressen, hilfe, er will mich fressen, hilfe!" Die lauten Schreie, die sie ausstieß, hörten die Leute, mit denen sie in den Wald gekommen war. Unter ihnen befand sich auch ein Jäger, der ohne zu zögern seine Schrotflinte auf den Wolf abschoss, der trotz seiner schnellen Flucht davon verwundet wurde. Er konnte sich zwar retten, aber zusätzlich zu der Wunde auf seinem Fell erlitt er eine unheilbare Verwundung in seinem Herzen.

Er öffnete nie wieder den Mund vor jemand. Er zeigte seine Zähne nicht mehr und lächelte nicht mehr. Er hielt sich auch von allen fern und wollte am liebsten sterben, obwohl er noch so jung war. Nur in seinen Augen spiegelte sich noch das alte Lächeln, das jetzt in ihm verborgen blieb, aber niemand achtete darauf. In dieser Einsamkeit verbrachte er sein Leben, bis sie eines Tages durch verzweifelte Schreie unterbrochen wurde: „Hilfe, Hilfe! Helft mir!" Es war eine menschliche Stimme und der Wolf versteckte sich in der Tiefe seines Versteckes, er wollte nichts damit zu tun haben. Aber die Hilferufe gingen weiter, sie wurden immer verzweifelter und berührten ihn immer mehr, bis zu dem Punkt, dass er nicht mehr nur mit den Ohren, sondern auch mit dem Herzen zuhörte. Und das sagte ihm, er solle hingehen und sehen, wer da Hilfe brauchte.

Mit Bedacht näherte er sich der Stelle, von der die inzwischen immer schwächere Stimme kam, und bemerkte einen Mann, der von einer Anhöhe abgestürzt war und sich offensichtlich das Bein gebrochen hatte. Vorsichtig zeigte er sich aus sicherer Distanz, aber sobald der Mann den Wolf sah, der seine Schnauze fest geschlossen hielt und ihn nur mit seinen mitfühlenden Augen ansah, sagte er: "Gott hat dich gesandt!" und fuhr fort: "Hilf mir, ich werde dir alles Gute tun, was ich kann!" Der Wolf wollte nichts anderes als das, was er hatte, aber er sah den Verwundeten mitleidig an. „Geh und hol mir Hilfe! Nimm mein Taschentuch mit, damit kannst du meine Gefährten auf mich aufmerksam machen! " Das tat der Wolf und folgte dem Geruch der Spuren des Menschen, bis er bald auf eine Gruppe von Jägern traf, die nach ihrem vermissten Begleiter suchten.

Vor ihnen ließ er das Taschentuch des Mannes fallen und sie verstanden, dass sie ihm folgen sollten. Als sie den Verwundeten erreichten, freuten sich alle und auch der Wolf hatte seine schlechten Erfahrungen vergessen, so dass er seinen Mund mit einem glücklichen Lächeln öffnete. Aber einer aus der Gruppe, der die friedliche Geste als Zeichen der Angriffslust interpretierte, zielte mit seinem Gewehr und tötete ihn sofort mit einem einzigen Schuss. Es war zu spät, als der Verwundete die Wahrheit sagte. Seitdem hat jeder, der von diesem Wolf gehört hat, sein Andenken gewürdigt und hat verstanden, dass Vorurteile niemals zu einem guten Ende führen.



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