Die Welt des Wolfs

Das Märchen vom Taschentuch, von den Ohrenstöpseln und von den Hustenbonbons


Es war einmal ein König, der hatte eine einzige Tochter und die war über alles schön und hatte ein allerliebstes Lächeln und eine Stimme wie Gold. Alle in seinem Reich begegneten ihr mit Freude und mit Wohlgefallen und sagten: „Das wird einmal unsere beste Königin werden.“

Doch hatte die Prinzessin auch einen bösen Feind. Der Stiefbruder des Königs, der ein Zauberer war und selbst auf den Thron kommen wollte, trachtete mit allen Mitteln nach ihrem Leben. Da sie jedoch unter dem Schutz der höchsten Mächte des Reichs stand, konnte er sie nicht töten, aber er schadete ihr mit seinen bösen Mitteln auf schlimmste Weise.

Zuerst schickte er ihr aus seiner Nase seinen giftigen Atem, wenn sie den einatmete, wurde es ihr immer schwerer, Luft zu holen und so verlor sie schließlich ganz ihr schönes Lächeln.

Dann ließ er aus seinem Mund einen Säurenebel auf sie sprühen, dass ihr Hals ganz geschwollen wurde und ihre schöne Stimme immer mehr verstummte.

Zuletzt erzeugte er mit giftigen Schlangen ein ganz zischendes Kreischen, das für die feinen Ohren der Prinzessin wie betäubend war, und das sie ganz krank machte, so dass sie auch ihre schönes Gesicht verlor.

Die leidgeprüfte Prinzessin sollte mit wachsenden Jahren immer mehr die Geschäfte ihres alten Vaters übernehmen, da dieser sich ihnen nicht mehr so widmen konnte, wie er es sich wünschte. So hatte sie sehr viel zu tun, da sie jedoch durch die Verwünschungen des Zauberers immer schwächer wurde, fiel ihr die Last der wachsenden Verantwortung von Jahr zu Jahr schwerer.

Dem alten König tat das arg leid, weil er seine Tochter sehr liebte, aber er war auch immer mehr besorgt um die Zukunft seines Reichs, denn in seinem Volk wurde immer mehr Unmut laut: „Das kann nimmermehr unsere Königin werden, sie lächelt nicht mehr, sie spricht nicht mehr, und schön ist sie auch nicht mehr!“ Und so ließ er in seinem Reich und in allen Ländern seiner Welt einen Aufruf ergehen: „Wer meine Tochter heilen kann, soll ihr Gemahl werden und mein Reich erben!“

Sofort kamen aus allen Richtungen Prinzen und Heilkundige, die mit ihren Künsten und Mitteln die Prinzessin heilen wollten. Aber jeder ihrer Versuche verschlimmerte nur ihre Plagen, weil der böse Zauberer jedes Mal ganz besonders giftigen Atem, ganz besonders starke Säure und ganz besonders lautes Kreischen ihr schickte, um jede Linderung und jede Heilung zu verhindern.

Schließlich wurde der König so verzweifelt, dass er auch selbst ganz krank wurde. Jetzt musste seine Tochter ganz seine Geschäfte führen und da sie sich immer weniger konzentrieren konnte, fiel ihr das so schwer, dass sie schließlich mit zwei treuen Dienerinnen in ein fernes Schloss mitten im Wald zog, um bei der Arbeit nicht gestört zu werden. Sie wusste aber nicht , dass gerade in diesem Wald auch der böse Zauberer wohnte, der ihr nach dem Erbe trachtete.

Zu dieser Zeit kam zu dem Reich ein junger Bursche, der auf der Wanderschaft war. Der hatte zwar das Herz am rechten Fleck aber keine Arbeit. Als dieser von dem ganzen Geschehen hörte, dachte er bei sich: „Ei, das tät mir wohl gefallen, der Prinzessin zu helfen, aber …“

Bevor er jedoch weiter denken konnte, hörte er eine Stimme sagen: „Nichts leichter als das!“ –
„--- aber, wenn schon so viele vergeblich versuchten sie zu heilen …,“ setzte der Bursche fort, der sich etwas wunderte, dass jemand seine Gedanken hören konnte.
Neugierig wendete er sich zu der Stimme um und sah ein kleines Männlein, das ihm antwortete: „Das sagt gar nichts, keiner von all denen hatte die richtigen Mittel dabei.“ –
„Ach, das wär mir wohl recht, diese Mittel zu kennen“, entgegnete der junge Kerl beherzt.
„Weil du mir den guten Willen zu haben scheinst, will ich dir die 3 Mittel geben, die du zur Erlösung der Prinzessin brauchst und die ihr zur Heilung gereichen werden. Wenn du aber gefragt wirst, ob du sie heiraten willst, musst du Nein sagen und wenn du gefragt wirst, ob du das Reich erben willst, musst du ebenfalls verneinen.“ – „Ach, und warum sollte ich es also tun?“ fragte der Bursche etwas enttäuscht, denn er hatte im Stillen schon angefangen von einer Zukunft als Prinz zu träumen.
„Wenn du gefragt wirst, was du möchtest, musst du sagen, dass du als Diener des Arztes der Prinzessin im Reich wohnen möchtest.“ – „Aber ich kenne doch gar keinen Arzt und bin auch gar keinen Diener.“ –
„Ich werde der Arzt sein und dich zu meinem Diener machen,“ antwortete das Männlein bestimmt und setzte fort: „Hier schenke ich dir ein Taschentuch, zwei Ohrenstöpsel und eine Schachtel mit Hustenbonbons. Die werden dir den Weg zur Prinzessin öffnen.“

Das erschien dem jungen Menschen schon recht seltsam, aber da es dem Männlein Ernst zu sein schien, bat er um die Mittel, ließ sich in ihrem Gebrauch unterweisen und machte sich auf den Weg durch den Wald zum Schloss, wo die Prinzessin residierte.

Kaum war er in den Wald eingetreten, roch er eine ganz giftige Luft, die alles Leben erstickte, flugs griff er zu seinem Taschentuch und hielt es sich vor die Nase und so konnte er unbehindert voran gehen. Weiter drinnen im Wald, stieg plötzlich ein saurer Nebel auf, der ihm ganz den Hals verschloss, doch schnell nahm er eines der Hustenbonbons und befreite seine Kehle von dem ätzenden Dunst.

Als er weiter ging, sah er schon von Ferne das Schloss und dachte bei sich: „Ich hab’s geschafft“, doch da erhob sich plötzlich ein so schrilles, schreckliches, zischendes Kreischen, als ob tausend Schlangen auf einmal auf ihn los drängten. Gerade noch rechtzeitig besann er sich der Stöpsel, um sich die Ohren zu verschließen und ungeachtet der schlimmen Geräusche bis zum Tor des Schlosses zu gelangen. Er klopfte erwartungsvoll, aber die Tür blieb verschlossen.

Stattdessen öffnete sich oben ein Fenster und eine der Dienerinnen schaute heraus. „Was willst du? Willst du die Prinzessin heiraten?“ –
„Ich will der Prinzessin dienen, aber sie nicht heiraten.“
Das Fenster schloss sich und er musste wieder klopfen. Darauf öffnete sich ein zweites Fenster und die zweite Dienerin schaute heraus: „Was willst du? Das Reich erben?“
Ich will der Prinzessin dienen, wenn sie krank ist, aber nicht das Reich erben.“
Bei dieser Antwort wurde plötzlich die Luft ganz rein, der Nebel verschwand und das Kreischen verstummte. Die Tür öffnete sich und die Prinzessin trat heraus und fragte: „Wer bist du?“ –
„Ich bin der Diener des Arztes, der dich heilen wird.“

Bei diesen Worte des jungen Burschen erklang ein lautes Heulen im Wald wie von einem starken Wind, der den bösen Zauberer mit sich fort trug, dass er nimmer mehr wieder gesehen wurde in diesem Teil der Welt.

Die Prinzessin ging mit dem jungen Burschen zurück zum Schloss ihres Vaters und wurde ganz gesund. Das Männlein wurde Leibarzt der Prinzessin und der Bursche führte ein frohes Leben als sein Diener. Der König war aber so froh über das gute Geschehen, dass er noch lange Zeit lebte und die Staatsgeschäfte führte. So hatte seine Tochter wieder genug Zeit zu lächeln, ihre Stimme erklingen zu lassen und zur Freude des ganzen Volkes ihre Schönheit zu zeigen.

Und da der junge Bursch nie etwas zu tun hatte, führte auch er ein herrliches Leben und freut sich bis heute mit der Prinzessin an dem neuen Frieden, der in das Reich eingekehrt ist.



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