Es war einmal ein Wolf, der in der Kälte des Nordens geboren wurde und sein ganzes Leben lang auf der Suche nach der Sonne durch die Welt wanderte, um nicht nur sein Fell, sondern auch sein Herz zu wärmen. Dabei traf er auf einer Brücke eine Frau, die ihrerseits aus den heißen Wüsten des Südens geflohen war, wo vor lauter Hitze alles verdorrte und nach einem Ort suchte, an dem sie ihr leidenschaftliches Blut und ihren Geist kühlen konnte. Sie hatten nicht nur eine gegensätzliche Herkunft, sie sprachen nicht nur zwei verschiedene Sprachen, sondern waren auch in ihrer Art geteilt. Beide hatten ein Stück ihrer Vergangenheit behalten: Der Wolf trug die Kälte der Schatten mit sich und in der Frau brannte immer noch das Feuer des heißen Wüstenlandes. Bei ihrem Treffen fanden sie jedoch im anderen einen Teil dessen, wonach sie suchten und was ihnen fehlte, so dass sie eine starke Neugierde verspürten und, trotz der Schwierigkeit, einander zu verstehen, lange Zeit miteinander verbrachten. Der Wolf war weit weg von seinen Wäldern und die Frau weit entfernt von den Wüsten, keiner von ihnen war mit der Welt vertraut, in der sie angekommen waren. Nur die Brücke, auf der sie sich trafen, vereinte ihre Unterschiede. Bei ihrem Zusammentreffen vergaßen sie ihre Vergangenheit und dachten nicht an die Zukunft, sie gingen ganz auf in der Gegenwart. Und als sie zu ihrer jeweiligen Unterkunft zurückkehrten, war jeder von ihnen mit neuen Empfindungen erfüllt und dies schien der Beginn einer langen, glücklichen Geschichte zu sein. Aber das Glück findet immer Feinde in der Welt. Tatsächlich war die Brücke nicht nur ein Treffpunkt für die beiden, sondern auch die Heimat zweier verborgenen Kreaturen, die ihrer schönen Geschichte feindselig gegenüberstanden. Auf der Seite, von der der Wolf kam, war unter dem Brückenbogen, ohne dass er es wusste, seit Jahrhunderten ein neidischer Zwerg im Schatten versteckt, der dort im Felsgestein eingeklemmt war. Er war früher frei und hatte nie jemandem Schaden zugefügt, aber während des Baus der Brücke wurde ein Steinbrocken genau dorthin geworfen, wo er sich gerade befand, und seither saß der Zwerg dort fest und war unfähig sich fortzubewegen. Für die Menschen unsichtbar, war er gezwungen, im Schatten seines Gefängnisses still zu stehen und konnte nie die Sonne sehen, während die Menschen über ihm jeden Tag in ihrem Licht hin und her gingen. Je glücklicher sie waren, desto wütender wurde er in seinem Schatten unter dem Bogen der Brücke. Obwohl er sich nicht bewegen konnte, war er dennoch in der Lage, Zwietracht unter den Passanten zu säen und zu teilen. was vereint war. Da er selbst nicht mehr frei war, hasste er alle, die sich frei bewegen konnten. Je mehr sich die Herzen des Wolfes und der Frau füreinander öffneten, desto mehr konnten die Pfeile des Neides des Zwergs in das Herz des Wolfes eindringen, wo das schattige Stück seiner Vergangenheit verblieben war und früher oder später musste etwas Schreckliches passieren. Aber auch auf der anderen Seite der Brücke, von der die Frau kam, befand sich unsichtbar ein Kobold, der seit dem Bau an einem Bein unter dem Steingeländer festgebunden war. Auch er hatte schon jahrhundertelang in dieser Position gelitten, er war immer dem Licht ausgesetzt sein und unter dem Brennen der Sonne konnte er sich nie beruhigen. Er war stets angespannt und so außer Atem, dass er ständig zitterte und zappelte. Viele von denen, die die Brücke überqueren wollten, stolperten über ihn, wenn er ihnen in die Quere kam, oder er steckte sie mit seiner Aufregung an und sie verloren ihren Verstand, bis zu dem Punkt, dass sie nicht mehr wussten, wohin sie eigentlich wollten. Eines Abends, als der Wolf und die Frau sich wie gewohnt treffen wollten, stolperte sie deshalb über die zappelnden Beine des Kobolds und verletzte sich, als sie auf den felsigen Boden fiel. Im selben Moment wurde der Wolf von einem kalten Pfeil der Unempfindlichkeit des Zwergs getroffen und als er die gefallene Frau sah, sagte er nur: "Was machst du denn, steh doch auf, kannst du nicht schauen, wohin du gehst?" "Es war nicht meine Schuld, ich verstehe nicht, warum du so unsensibel bist!" antwortete die Frau beleidigt und daraus entstand ein langer Streit, während dessen sie sich immer weniger verstanden, so dass sie am Schluss sich ohne ein Wort des Abschieds trennten. Jeder ging für sich seines Wegs und sie trafen sich nie wieder, aber beide waren traurig, den Dialog zwischen ihnen verloren zu haben, der so friedlich und vertraut begonnen hatte. Dennoch konnten sie einander nicht vergessen. Am Abend kehrte der Wolf gelegentlich niedergeschlagen zur Brücke zurück, aber blieb nicht wie sonst oben stehen, wo er sich jetzt zu verlassen fühlte, sondern rollte sich lieber traurig im Schatten unter dem Bogen zusammen. Nachdem er sich dort wieder einmal hingesetzt hatte, traurig und demoralisiert, hatte er den Eindruck, in einem Stein vor sich ein grinsendes Gesicht zu sehen und platzte heraus: "Worüber lachst du so bösartig?" Es war kein anderer als der Zwerg, der, als er sich entdeckt fühlte, plötzlich seinen Gesichtsausdruck veränderte und versuchte, sich zu verstecken. Der Wolf fragte sich: "Was ist das? Ein Stein, der sein Gesicht verzieht? " und näherte sich der Stelle, wo der Zwerg im Stein steckte und fragte erneut: "Worüber lachst du?" Es waren Jahrhunderte gewesen, in denen niemand mit ihm gesprochen hatte, und anstatt unsichtbar zu bleiben und zu schweigen, antwortete der Zwerg: "Ich stecke hier fest und kann mich nicht bewegen!" "Das ist nicht meine Schuld", antwortete erstaunt der Wolf in seiner abweisenden Art und merkte nicht, dass er mit einem Zwerg sprach. "Es ist die Schuld aller Menschen", sagte der Zwerg hartnäckig und erzählte seine Geschichte. "Ja, es ist wahr, deine Situation ist nicht schön, aber jetzt kann nichts mehr daran geändert werden", bemerkte der Wolf, der versuchte, das Gespräch zu schließen. "Nein, höre mir noch einen Moment zu, wir könnten schon etwas tun", beharrte der Zwerg. "Und was wäre das?" „Du könntest mich aus dem Schatten und dem Stein, in dem ich stecke befreien. Mit dem Aufgang der Sonne morgen früh könnte ich mich wärmen und dann diesen Ort verlassen. " "Du bist mir nicht angenehm, du hast etwas Unehrliches an dir", antwortete der Wolf distanziert und weigerte sich ihm zu helfen. „Ja, ich war verärgert und wütend, ich habe nie die Sonne gesehen und konnte mich nie aufwärmen. Deshalb war ich so aggressiv, ich habe mich schlecht benommen und nur Zwietracht gesät, aber ich könnte den Schaden reparieren. Wenn du mich befreist, werde ich die Frau, die du immer noch gern hast, dazu bringen, zu dir zurück zu kehren und ich werde dir auch helfen, sie besser zu verstehen. “ Der Wolf hatte wenig Lust, diesem neiderfüllten Zwerg zu helfen, aber er verstand auch gut, wie schwer es für ihn war, ohne Sonne und ohne Wärme zu leben. Also besann er sich eines besseren und begann, den Stein zu bewegen. Das Wasser des Flusses hatte bereits einen Teil des Steins aus dem Felsen freigelegt, und so gelang es ihm mit wenig Kraft, ihn so zu bewegen, dass der Zwerg nicht mehr dahinter eingesperrt war. „Danke, danke, du hast mein Leben gerettet und mir meine Freiheit wieder gegeben“, sagte der Zwerg, „morgen mit dem Sonnenaufgang werde ich aufstehen und von hier weggehen. Ich werde die Frau bald zu dir schicken, ich weiß, wo ich sie finden kann und wo ich in Zukunft Zwietracht erlebe, werde ich versuchen, das zu vereinen, was geteilt ist." Der Wolf kehrte in seine Höhle zurück, ohne an dieses Versprechen zu glauben, aber er freute sich doch, dass der Zwerg so glücklich war. Vielleicht hatte er Recht, nicht dem zu trauen, was ihm der Zwerg versprochen hatte, aber den, der noch an die Märchen glaubt, wird es kaum wundern, dass es nicht lange dauerte, bis die Frau eines schönen Morgens tatsächlich zur Brücke zurückkehrte. Doch sie war noch immer so im innersten betroffen, dass sie die alte Freundschaft mit dem Wolf nicht wieder aufnehmen wollte. „Seine Freundlichkeiten waren nur gespielt“, sagte sie sich, „die verständnisvollen Sätze waren nur ausgedachte Worte. Sobald etwas nicht nach seinem Kopf ging und ihn irritierte, kam seine wahre eingebildete und arrogante Natur zum Vorschein. Da er vier Beine hat, versteht er nicht, dass jemand mit zwei Beinen leicht stolpern kann, aber er denkt, dass das nur einem Dummkopf passiert, der nicht laufen kann, " schnaubte sie heftig bei diesem Gedanken. „Ich war einfach zu naiv, ihm zu vertrauen und zu denken, dass ein Wolf eine zarte und aufrichtige Seele haben könnte. Ich kann mir nur selbst Vorwürfe machen, dass ich mich so habe in die Irre führen lassen." Sie setzte sich auf den Brückenbogen, gerade an der Stelle, an die der Kobold gefesselt war und wusste nicht warum es ihr plötzlich zum Weinen zumute war. Während sie weinte, hörte sie ein sarkastisches Kichern und als sie ihren Blick in die Richtung drehte, aus der das Lachen kam, bemerkte sie dort schemenhaft das krampfhafte Zappeln des Elfen. “Freche Missbildung der Natur, geh weg und lass mich in Ruhe! Was fällt dir ein, so unverschämt zu sein ?! ” Aber der Kobold antwortete: "Ich kann nichts dafür, ich kann einfach nichts anderes tun, die Sonne und ihre Hitze haben mich verrückt gemacht und wenn ich nicht bald einen schattigen Platz finde, werde ich noch platzen und ich weiß nicht, wie viel Schaden ich dann anrichten werde!" Die Frau hatte ein gutes Herz und ließ sich die Geschichte des armen Kobolds erzählen, der jegliche Schüchternheit verlor und sich ihr anvertraute. Am Ende seiner Geschichte fragte er: "Möchtest du mich nicht in den Schatten bringen, damit ich nicht nur geheilt werden, sondern auch in Zukunft gesund sein kann?" Die Frau verstand gut, wie aufheizend das Brennen der Sonne sein konnte und wie dringend es war, einen erfrischenden Ort zu finden, deshalb ließ sie sich nicht lange bitten und es gelang ihr trotz ihrer zarten Händen , den zitternden Kobold aus seiner Verankerung herauszuziehen und ihn in einen kühlen und schattigen Ort unter der Brücke zu bringen. "Vielen, vielen Dank, hier kann ich wieder zum Leben erweckt werden", sagte der Kobold, "aus Dankbarkeit werde ich den Wolf bald hierher kommen lassen". Die Frau wollte jedoch immer noch nichts von einer Begegnung mit dem Wolf wissen und glaubte auch gar nicht einmal so sehr an seine Worte, da sie ihn immer noch für ein bisschen verrückt hielt. Auf dem Weg zurück zu ihrem Haus beruhigte sich jedoch auf unerklärliche Weise das Feuer ihres alten Zorns und sie verstand plötzlich nicht mehr, warum sie sich so lange beleidigt gefühlt hatte und so nachtragend war. Darüber hatte sie all die schönen Momente mit dem Wolf und die Übereinstimmung mit ihm vergessen. Ohne zu bedenken, dass alles von ihrer Gegensätzlichkeit her gekommen war, sowohl das Verständnis am Anfang als auch während der Konfrontation am Schluss. "Wir warehn wie zwei Seiten derselben Medaille", kam es der Frau in den Sinn und sie erkannte, dass nur dann ein Gleichgewicht erreicht werden würde, wenn beide die gegenseitigen und oft unverständlichen Unterschiede respektieren könnten. Im selben Moment fragte sich auch der Wolf auf der anderen Seite der Brücke, warum er jemals so kalt und so wenig einfühlsam gegenüber der Frau hatte sein können. Beide, angetrieben von einem plötzlichen Impuls, gingen auf die Mitte der Brücke zu, wo sie sich wie beim ersten Mal wieder trafen. Diesmal aber waren sie nicht mehr auf der Suche nach sich selbst, sondern jetzt waren sie in der Lage, den anderen so zu empfangen, wie er in seiner Eigenart war. Deshalb wurde diese neue Begegnung zum Anfang einer langen Freundschaft, die noch heute andauert.