Die Welt des Wolfs

Bäume - Portal


Jeder Baum ruht in sich auf seine Art und spricht:
Ich wurzle in der Erde und wachse hinauf zum Licht.




1. Der einzelne Baum

Es erkennen alle Wanderer:
Kein Baum ist wie ein anderer,
jeder wächst eigen und allein,
sich selbst in den Wald hinein.

Er ragt zugleich aus ihm heraus,
ins Licht mit seinem Wipfelkraus
und seine Wurzeln dringen hinein
ins dunkeltief einsame Erdensein.


2. Einzelner Baum und Gemeinschaft des Waldes

Keiner steht je still,
jeder dreht sich, wie er will,
im friedlichen Reigen mit allen
können sie sich so gefallen.

Wie im Tanz um ihre Mitte
neigen sie nach allen Seiten
ihre Zweige zu den Partnern,
die im Einklang mit ihnen dasselbe tun.


3. Baum und Licht und Schatten

Im Rhythmus der Sterne
drehen sie sich gerne
in Harmonie und Einklang
im Zyklus der Zeit
mit Blick in Richtung auf die Mitte der Lichtung.

Sie leben aus ihrem Schatten auf die Lichtung hin
Sie verlassen den Raum ihrer Gemeinschaft
und Streben zum Einzelwesen in der Mitte hin.


4. BAUM und Zeit und RAUM


Sie winden sich hoch zum Himmel hinauf
und schrauben zugleich sich tief hinunter,
folgen der Zeiten Lauf
und tauchen im Raume unter.

Ihre Stämme sind wie Achsen,
die zwischen oben und unten wachsen,
damit die ganze Welt
nicht in zwei Teile auseinander fällt.


5. Baum und Elemente

Jeder ist wurzeltief mit der Erde verwandt
sie gibt ihm Humus, Halt und Stand.

Das Wasser fließt in ihm zu allen Zweigen,
das kann sein schöner Wuchs bezeugen.

Mit seinen Blättern atmet er die Luft,
grad umgekehrt als jeder Mensch es tut

und in seinem harten Holz ruht
die starke Kraft des Feuers Glut.

Es gibt zu jedem Element der Bäume drei Ausführungen, die in ihrer Gestaltung sich so unterscheiden, dass sie die charakteristischen Grundlinien der Tierkreiszeichen widerspiegeln:

FEUERBAUM 1 = Widder, FEUERBAUM 2 = Löwe, FEUERBAUM 3 = Schütze,

ERDBAUM 1 = Stier, ERDBAUM 2 = Jungfrau, ERDBAUM 3 = Steinbock

LUFTBAUM 1 = Zwillinge, LUFTBAUM 2 = Waage, LUFTBAUM 3 = Wassermann

WASSERBAUM 1 = Krebs, WASSERBAUM 2 = Skorpion, WASSERBAUM 3 = Fische

So gibt es insgesamt 12 verschiedene Ausführungen der Bäume. Dazu kommt der Ur-Baum der Lichtung, in dem sich alle anderen vereinen und aus der die Gestalt aller anderen entspringt.

Die Bäume sprechen nicht, SIE SIND DAS WORT. Wandlungskraft des Wortes ihrer Blätter. Wandlung von etwas Bestehendem. Zeugungskraft des Wortes ihrer Blüten. Erzeugung von Neuem. Lebenskraft (Keimkraft) des Wortes ihrer Früchte (Samen). Bewahrungskraft des Wortes ihrer Wurzeln. Erhaltung von Bestehendem.


Die Bäume drehen und wenden sich nach allen Seiten, tasten nach Horizont. Leben aus ihrer Mitte heraus. sie sind lebendige Vorbilder dem, der in seiner Beweglichkeit ihnen gleichen und ihren Rhythmus folgen will. erweitern sich in der Breite, erhöhen sich nach oben. Jeder Teil spiegelt das Ganze. Spiegelbild des Zauberbaums, des Zyklus des Jahres und doch indviduell in ihrem Schicksal und Eigenwillen Niemand käme hier auf die Idee, einen lebendigen Baum absägen zu können ohne damit auch Ein Stück von sich selbst zu töten. Der Wald ist Leben, weil er aus dem Leben der Baeume besteht, die Baeume leben sich selbst und bilden gleichzeitg die Gemeinschaft des Waldes.



Hermann Hesse:

Bäume sind für mich immer die eindringlichsten Prediger gewesen. Ich verehre sie, wenn sie in Völkern und Familien leben, in Wäldern und Hainen. Und noch mehr verehre ich sie, wenn sie einzeln stehen. Sie sind wie Einsame. Nicht wie Einsiedler, welche aus irgendeiner Schwäche sich davongestohlen haben, sondern wie große, vereinsamte Menschen, wie Beethoven und Nietzsche. In ihren Wipfeln rauscht die Welt, ihre Wurzeln ruhen im Unendlichen; allein sie verlieren sich nicht darin, sondern erstreben mit aller Kraft ihres Lebens nur das Eine: ihr eigenes, in ihnen wohnendes Gesetz zu erfüllen, ihre eigene Gestalt auszubauen, sich selbst darzustellen. Nichts ist heiliger, nichts ist vorbildlicher als ein schöner, starker Baum. Wenn ein Baum umgesägt worden ist und seine nackte Todeswunde der Sonne zeigt, dann kann man auf der lichten Scheibe seines Stumpfes und Grabmals seine ganze Geschichte lesen: in den Jahresringen und Verwachsungen steht aller Kampf, alles Leid, alle Krankheit, alles Glück und Gedeihen treu geschrieben, schmale Jahre und üppige Jahre, überstandene Angriffe, überdauerte Stürme. Und jeder Bauernjunge weiß, daß das härteste und edelste Holz die engsten Ringe hat, daß hoch auf Bergen und in immerwährender Gefahr die unzerstörbarsten,kraftvollsten, vorbildlichsten Stämme wachsen.

Bäume sind Heiligtümer. Wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiß, der erfährt die Wahrheit. Sie predigen nicht Lehren und Rezepte, sie predigen, um das Einzelne unbekümmert, das Urgesetz des Lebens.

Ein Baum spricht: In mir ist ein Kern, ein Funke, ein Gedanke verborgen, ich bin Leben vom ewigen Leben. Einmalig ist der Versuch und Wurf, den die ewige Mutter mit mir gewagt hat, einmalig ist meine Gestalt und das Geäder meiner Haut, einmalig das kleinste Blätterspiel meines Wipfels und die kleinste Narbe meiner Rinde. Mein Amt ist, im ausgeprägten Einmaligen das Ewige zu gestalten und zu zeigen.

Ein Baum spricht: Meine Kraft ist das Vertrauen. Ich weiß nichts von meinen Vätern, ich weiß nichts von den tausend Kindern, die in jedem Jahr aus mir entstehen. Ich lebe das Geheimnis meines Samens zu Ende, nichts andres ist meine Sorge. Ich vertraue, daß Gott in mir ist. Ich vertraue, daß meine Aufgabe heilig ist. Aus diesem Vertrauen lebe ich.

Wenn wir traurig sind und das Leben nicht mehr gut ertragen können, dann kann ein Baum zu uns sprechen: Sei still! Sei still! Sieh mich an! Leben ist nicht leicht, Leben ist nicht schwer. Das sind Kindergedanken. Laß Gott in dir reden, so schweigen sie. Du bangst, weil dich dein Weg von der Mutter und Heimat wegführt. Aber jeder Schritt und Tag führt dich neu der Mutter entgegen. Heimat ist nicht da oder dort. Heimat ist in dir innen, oder nirgends.

Wandersehnsucht reißt mir am Herzen, wenn ich Bäume höre, die abends im Wind rauschen. Hört man still und lange zu, so zeigt auch die Wandersehnsucht ihren Kern und Sinn. Sie ist nicht Fortlaufenwollen vor dem Leide, wie es schien. Sie ist Sehnsucht nach Heimat, nach Gedächtnis der Mutter, nach neuen Gleichnissen des Lebens. Sie führt nach Hause. Jeder Weg führt nach Hause, jeder Schritt ist Geburt, jeder Schritt ist Tod, jedes Grab ist Mutter.

So rauscht der Baum im Abend, wenn wir Angst vor unsern eigenen Kindergedanken haben. Bäume habe lange Gedanken, langatmige und ruhige, wie sie ein längeres Leben haben als wir. Sie sind weiser als wir, solange wir nicht auf sie hören. Aber wenn wir gelernt haben, die Bäume anzuhören, dann gewinnt gerade die Kürze und Schnelligkeit und Kinderhast unserer Gedanken eine Freudigkeit ohnegleichen. Wer gelernt hat, Bäumen zuzuhören, begehrt nicht mehr, ein Baum zu sein. Er begehrt nichts zu sein, als was er ist. Das ist Heimat. Das ist Glück.

Aus: Wanderung, 1920.




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